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Gute Medizin – nicht nur für Reiche
Interview mit Transparenz-Expertin Mag.a Andrea Fried

UNSERE EXPERTIN:
Mag.a Andrea Fried hat langjährige Erfahrung als Gesundheitsjournalistin und in unterschiedlichen Organisationen. Seit 2005 leitet sie bei Transparency International Austria die Arbeitsgruppe Gesundheitswesen.

Vier von fünf Befragten sind laut einer Umfrage der Meinung, dass in Österreich jene, „die es sich leisten können“, in Arztpraxen und Spitälern bevorzugt werden. Was das für das Gesundheitssystem bedeutet, erklärt Transparenz-Expertin Andrea Fried.

Frau Fried, fast 80 Prozent sind laut Austrian Health Report, der jüngst veröffentlicht wurde, der Meinung, dass Patientinnen und Patienten, „die es sich leisten können“, in Österreich schneller behandelt werden. Was lässt diese 80 Prozent zu diesem Schluss kommen?
Andrea Fried: Offenbar haben viele Menschen bereits persönlich diese Erfahrung gemacht. Wenn es im öffentlichen Gesundheitswesen lange Wartezeiten gibt, suchen die Menschen, die es sich leisten können, den Weg in die Privatmedizin: Sie zahlen um rascher an eine Magnetresonanz, einen Facharzttermin, eine Psychotherapie, eine konservative Behandlung oder eine Operation zu bekommen.

 

Gibt es Ihrer Meinung nach tatsächlich relevante Unterschiede in der medizinischen Betreuung für finanziell potentere Menschen im Vergleich zu nicht so Wohlhabenden?
Ob es qualitative Unterschiede gibt, lässt sich schwer sagen, da wir in Österreich sehr wenig über die Qualität der Gesundheitsleistungen wissen. Die wenigen Daten, die erhoben werden, werden nicht veröffentlicht. Aber es macht natürlich einen Unterschied, ob ich mir eine Ärztin oder einen Arzt mit viel Erfahrung und guten Referenzen aussuchen kann. Das ist für „normale“ Patientinnen und Patienten im öffentlichen Spital nicht möglich. Auf der anderen Seite besteht aber auch die Gefahr, dass Privatpatienten zu viele Leistungen erhalten, sprich unnötig operiert werden.

 

Wo fängt denn eigentlich Korruption an? Ist es noch vertretbar, dass ein befreundeter Arzt oder eine befreundete Ärztin mich vorreiht?
Ich glaube, man sollte den Korruptionsbegriff nicht überbeanspruchen. Aber ich bin dagegen, dass es im öffentlichen Gesundheitswesen VIP-Bereiche gibt. Geld oder Beziehungen sollten im Falle einer Krankheit keine Rolle spielen dürfen.

 

Was ist die große Gefahr, wenn Menschen das Gefühl haben, dass die medizinische Versorgung nicht für alle gerecht ist?
Der Privatsektor im Gesundheitswesen weitet sich gerade sehr stark aus, und die Verantwortlichen verschließen die Augen. Die Zahl der Wahl- und Privatärzt*innen und ihre Honorarforderungen steigen exorbitant an und immer weniger Mediziner*innen wollen eine Kassenordination führen oder im Spital arbeiten. Wird dieser Trend nicht sehr rasch gestoppt, werden wir erleben, dass es gute Medizin irgendwann nur noch für Reiche gibt.

 

Welche Ansätze müssen verfolgt werden, damit ungleichen Zugängen zu medizinischer Versorgung entgegengesteuert wird?
Das wichtigste wäre einmal, das Problem zu erkennen und offen zu diskutieren. Die Verantwortlichen tun ja immer noch so, als ob alle Menschen in diesem Land gleich gut versorgt wären. Und dann braucht es sehr klare Spielregeln für die Privatmedizin und ausreichende Mittel für den öffentlichen Sektor. Mediziner*innen sollen gut verdienen dürfen und gute Arbeitsbedingungen vorfinden, sowohl im öffentlichen Spital als auch in der Kassenordination.

www.ti-austria.at

 

Für die Erhebung des Austrian Health Report 2022 wurden rund 1500 ausgewählte Personen in Österreich – davon 460 Ärzt*innen und Apotheker*innen – befragt. Die Umfrage des Instituts für empirische Sozialforschung (IFES) wurde von der Pharmafirma Sandoz in Auftrag gegeben.
www.austrianhealthreport.at

Interview: Karin Cerny