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Wann kommt das Krankenhaus 4.0?
Warum das Krankenhaus der Zukunft schon Realität ist. Prof Dr. Siegfried Meryn im Interview.

Für Prof. Dr. Siegfried Meryn ist das Krankenhaus 4.0 längst Realität. Im Klinikguide-Interview erklärt der E-Health-Experte die digitale Revolution im Gesundheitswesen – und warum sie in erster Linie den Patient*innen dient.

 

Smart Hospitals gelten als die Zukunft des Spitalswesens. Welche Vorteile haben solche Krankenhäuser?
Smart Hospitals sind meiner Meinung nach bereits die Gegenwart. Sie ermöglichen durch eine Kombination aus digitalisierter Transformation, Innovation und gleichzeitiger Prozessoptimierung eine verbesserte Versorgung der Patient*innen. Dabei kommen allermodernste Technologien zum Einsatz – wie künstliche Intelligenz, Robotik oder Machine Learning. Im Zentrum aller Handlungen steht aber der Mensch.

 

Merkt man als Patient*in, dass man in einem Smart Hospital ist?
Im Augenblick ist das – insbesondere in Österreich – für die Patient*innen kaum erkennbar. Das meiste passiert „hinter dem Vorhang“. Dort kommt es zu einer kompletten Verknüpfung von intelligenten Systemen. Es gibt die elektronische Patientenakte. Es gibt Wearables. Die gespeicherten Daten werden automatisch mit den Daten des Spitals abgestimmt. Ich kann bei der Visite mit einem iPad durchgehen, auf dem ich den Laborbefund von heute Morgen und das letzte Röntgen ansehen kann. Dann gebe ich ein Medikament ein und bekomme eine Warnung, dass es sich nicht mit anderen Arzneimitteln verträgt, die der oder die Patient*in nimmt – und eine Information darüber, dass die Therapie nicht mehr den internationalen Leitlinien entspricht. Anschließend werden mir Differenzialdiagnosen und Alternativmedikamente vorgeschlagen, damit ich daraus auswählen kann. Und diese Entwicklung ist noch lange nicht am Ende. In den USA geht es durch Covid-19 gerade Richtung „Homespital“: Das smarte Krankenhaus kommt zu den Patient*innen nach Hause, damit sie gar nicht erst ins Spital müssen, wo sie sich infizieren oder andere anstecken können.

 

Wie funktioniert so ein Homespital in der Praxis?
Die Patient*innen sind vernetzt und online, sie werden von der Sprachsteuerung bis zur Bildkamera mit allem ausgestattet, was für Telemedizin nötig ist. Natürlich geht es dabei nicht um Schwerstkranke, sondern um welche, die zu Hause versorgt werden können. Möglich wird das mit technischen Möglichkeiten, die wir heute noch gar nicht voll ausnützen. Nehmen Sie einmal die Smart Watch 8 oder Fitbit her. Oder die Möglichkeiten für Online-Behandlungen, die es für Diabetiker*innen bereits gibt. Man muss heute nicht jedes Mal in die Ambulanz gehen, um den Zucker korrigieren zu lassen. Technisch ist vieles möglich. Und das entspricht auch dem, was international ausprobiert wird und funktioniert. Ich kenne ein Spital in Toronto, das schon komplett digitalisiert ist. So etwas haben wir meines Wissens in Europa noch nicht. Aber es gibt bereits die ersten virtuellen Kliniken in Deutschland.

 

„Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen“

 

Wie schaut es in Österreich aus? Im Newsweek-Ranking „The World Best Smart Hospitals“ sind das AKH Wien (auf Platz 104) und das Kepler Klinikum Linz (auf Platz 190) vertreten. Kennen Sie hierzulande noch andere Häuser, die hervorstechen?
Diese Rankings sind in den USA gang und gäbe, und die Patient*innen schauen sich das auch an. Wenn das seriös gemacht wird, und Newsweek ist sicher seriös, dann ist das eine gute Sache – weil es für Transparenz sorgt und den Patient*innen die Auswahl erleichtert. Man müsste sich allerdings genauer anschauen, was hier die Kriterien waren. Ich bin ein bisschen zurückhaltend mit Nennungen, weil es kein Spital gibt, das in der Lage ist, in allen Fächern top zu sein. Man müsste nicht Häuser nennen, sondern sich fragen: Welches Krankenhaus für orthopädische Eingriffe, welches für innere Medizin, und so weiter.

 

Wenn es um digitale Entwicklungen im medizinischen Bereich geht, haben viele Menschen Bedenken punkto Datenschutz. Und man spürt auch eine gewisse Angst, dass das persönliche Gespräch mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin auf der Strecke bleiben könnte. Wie kann man den Leuten diese Sorgen nehmen?
Indem man das entsprechend kommuniziert. Der Dachverband der Sozialversicherungen und die Österreichische Gesundheitskasse sind sich bewusst, dass man den Menschen diese Angst nehmen muss. Denn je mehr Daten interpretiert werden, umso präzisere Informationen gibt es und umso individualisierter kann vorgegangen werden. Das ist eine Entwicklung zum Nutzen der Patient*innen – und nicht zu ihrem Schaden. Aber sie haben absolut das Recht, zu hinterfragen, warum sie ihre Daten hergeben sollen. Sie müssen wissen, welchen Vorteil sie dadurch haben. Eine Umfrage in Deutschland hat gezeigt: Wenn Leute schwer erkranken und man sie dann fragt, ob sie wollen, dass die Daten geteilt werden, dann sagen 90 Prozent „ja“.

 

Eine andere Sorge von Patient*innen ist, dass aufgrund der Technologisierung das Gespräch mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin auf der Strecke bleiben könnte. Oder dass man im Spital nur noch Pflegeroboter zu Gesicht bekommt. Sind solche Ängste unbegründet?
Ich sehe es umgekehrt. Erstens gibt es eine verbesserte Diagnostik. Zweitens ist es eine Aufgabe der medizinischen Universitäten, die Medizinstudent*innen weiter dahingehend auszubilden, dass es nicht nur um technische Lösungen geht. Der Mensch muss weiterhin im Mittelpunkt stehen. Wenn der Computer die Differenzialdiagnose und die Therapieempfehlung in einer Sekunde auswirft, dann habe ich mehr Zeit für das Gespräch, als wenn ich erst einmal anfangen muss zu blättern und zu suchen. Die Frage ist also nur: Werde ich diese Zeit nutzen, um mit meinen Patient*innen zu reden? Diese Entscheidung wird dem einzelnen Arzt und der einzelnen Ärztin überlassen sein. Was die Pflege betrifft, ist es so, dass wir aktuell einen Pflegemangel haben. Es gibt viele Frauen in diesem Beruf, die nicht alleine einen älteren Menschen aus einer Badewanne heben können. Wenn diese Arbeit – so wie es heute schon in Japan der Fall ist – ein Roboter macht, dann finde ich das sinnvoll. Das Gleiche gilt für das Umbetten, von dem manche Pflegerinnen solche Rückenschmerzen bekommen, dass sie mit 40 aus ihrem Beruf aussteigen. Stattdessen könnten sie danebenstehen, während das eine Maschine erledigt, und mit dem Patienten oder der Patientin reden. Wir tun immer so, als würde die Technik uns zu irgendetwas zwingen. Aber wir entscheiden selbst, wann wir ein Gespräch führen. Und niemand anderer.

 

„Nichts bleibt, wie es ist.“

 

Wie sieht für Sie das Krankenhaus von morgen aus?
Für mich ist das Spital der Zukunft digital vernetzt und personalisiert. Dazu zählt auch, dass die ganzen smarten Sensoren benutzt und die Daten, die der Patient oder die Patientin schon längst zu Hause gesammelt hat, bei einer Aufnahme ins Krankenhaus eingespeist werden. Man muss das weiter denken: Wir reden noch von Prävention, die Amerikaner sind schon bei „Disease Interception“. Dabei geht es darum, ob man bei einer Erkrankung die Entstehung von Symptomen verhindern kann. Mein Credo ist: Nichts bleibt, wie es ist. Jetzt kommen gerade die ersten Quantencomputer heraus. Da heißt es dann nicht mehr „0 und 1“, sondern alles ist „fluid“. Stellen Sie sich einmal vor, welche Datenmengen man damit verarbeiten kann – und in welcher Geschwindigkeit.

 

Nicht nur für die Patient*innen, auch für die Ärzt*innen ändert sich viel. Wie stehen Ihre Kollegen zu den Neuerungen?
Ich habe das Gefühl, es ist eine Generationsfrage. Die neue Generation ist mit der Digitalisierung aufgewachsen und hat da keine Probleme. Die digitale Transformation wird oft damit verwechselt, dass man ein E-Rezept ausstellt oder einen Computer am Schreibtisch hat, der via Sprachsteuerung die Befunde schreibt. Aber davon reden wir ja hier nicht. Sondern von künstlicher Intelligenz und davon, dass ich heute mit einer App eine Diagnose vom Augenhintergrund eines Patienten oder einer Patientin erstellen kann, um eine diabetische Retinopathie festzustellen. Oder dass ich mit meinem Smartphone schauen kann, ob ein Muttermal bösartig ist, einen Lungenfunktionstest machen kann oder – mit Hilfe von einem Aufsatz – einen Herzultraschall. Bis das angenommen wird, dauert es sicher noch gute fünf Jahre. Gleichzeitig haben wir da draußen einen Consumer Markt, in dem sich sehr viel entwickelt. Und die Ärzt*innen, denen Patient*innen mit solchen Gadgets gegenübersitzen, werden sich gut informieren müssen, damit sie nicht diejenigen sind, die dann sagen müssen „Tut mir leid, aber da kenne ich mich nicht aus.“

 

www.meryn.at

 

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Klinikguide.at-Autorin: Antonia Wemer